Einem nunmehr veröffentlichten Urteil des Bundesgerichtshofs zufolge (Az.: IV ZR 95/22) gibt es keinen Erfahrungssatz, wonach die Kündigung eines Lebensversicherungsvertrages durch den Versicherungsnehmer stets zugleich den Widerruf der Bezugsberechtigung auf den Todesfall enthält, sondern diese Frage ist durch Auslegung der Erklärung im Einzelfall zu entscheiden.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin, eine Versicherungsgesellschaft, nimmt die Beklagte auf Rückzahlung des Rückkaufswerts einer Rentenversicherung in Anspruch.
Die Beklagte ist aufgrund gesetzlicher Erbfolge Alleinerbin nach ihrer Mutter, der Versicherungsnehmerin der Klägerin. Die Versicherungsnehmerin unterhielt bei der Klägerin eine Rentenversicherung gegen Einmalzahlung von 20.000 € mit Versicherungs- und Rentenbeginn am 1. Juni 2012. Ab dem 1. September 2012 erhielt sie eine vierteljährliche Rente in Höhe von 181,84 €. Im Versicherungsantrag vom 9. Mai 2012 bestimmte die Versicherungsnehmerin ihren Lebensgefährten (nachfolgend: Streitverkündeter) als widerruflich Bezugsberechtigten im Todesfall, der als solcher auch im Versicherungsschein eingetragen ist.
In den maßgeblichen Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Klägerin (nachfolgend: AVB) heißt es in § 6 unter der Überschrift „Wann können Sie Ihre Versicherung kündigen?“:
„Fristen 1. Sie können
- jederzeit zum Ende einer Versicherungsperiode oder
- mit einer Frist von einem Monat zum nächsten Monatsersten Ihre Versicherung schriftlich kündigen.“
In § 12 ist unter der Überschrift „Wer erhält die Leistung?“ geregelt:
„1. Die Leistung erbringen wir an Sie oder an Ihre Erben, falls Sie uns keine andere Person benannt haben, die die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag bei deren Fälligkeit erwerben soll (Bezugsberechtigter). Bis zur jeweiligen Fälligkeit können Sie das Bezugsrecht jederzeit widerrufen. … …
4. Die Einräumung und der Widerruf eines Bezugsrechts … sind uns gegenüber nur und erst dann wirksam, wenn sie uns vom bisherigen Berechtigten schriftlich angezeigt worden sind. …“
Mit Schreiben vom 18. Februar 2019 erklärte die Versicherungsnehmerin gegenüber der Klägerin insbesondere:
„hiermit kündige ich meine … Rentenversicherung … zum 01.04.19.
Bitte überweisen Sie mir den Restbetrag auf mein Konto bei der Kreissparkasse …“.
Die Klägerin kehrte daraufhin schon am 26. März 2019 einen Betrag in Höhe der Klageforderung von 16.044,37 € an die Versicherungsnehmerin aus. Der Betrag wurde ihrem Konto am 27. März gutgeschrieben. Einen Tag später, am 28. März 2019, verstarb sie und wurde von der Beklagten beerbt.
Mit Schreiben vom 13. September 2019 zeigte die Beklagte der Klägerin, die vom Tod der Versicherungsnehmerin zuvor keine Kenntnis hatte, das Versterben der Versicherungsnehmerin an und teilte mit, dass sämtliche zu Gunsten des Streitverkündeten bestehenden Vollmachten widerrufen worden seien; zugleich widerrief sie etwa zu seinen Gunsten bei der Klägerin bestehende Bezugsrechte. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2020 erklärte die Klägerin, dass ein Widerruf des Bezugsrechts wegen des Eintritts des Versicherungsfalls nicht mehr möglich sei. Sie werde den Widerruf aber insofern achten, als sie dem Streitverkündeten kein Angebot auf Abschluss eines Schenkungsvertrages mehr überbringen werde. Außerdem forderte sie die Beklagte auf, den erhaltenen Betrag zurückzuzahlen.
Die Klägerin ist der Ansicht, der Kündigung des Versicherungsvertrages könne kein Widerruf des Bezugsrechts entnommen werden. Die Kündigung sei gemäß § 6 AVB erst zum 1. April 2019 wirksam geworden, so dass zum Zeitpunkt des Todes der Versicherungsnehmerin der Vertrag noch bestanden habe. Mit Eintritt des Versicherungsfalls habe der Streitverkündete den Anspruch auf die Todesfallleistung erworben. Die Zahlung in Höhe von 16.044,37 € sei daher ohne Rechtsgrund erfolgt. Mit der Klage begehrt die Klägerin Rückzahlung dieses Betrages. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen, das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 954,05 € nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.
Der BGH hat das Urteil wie folgt begründet:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Urteil unter anderem in VersR 2022, 812 veröffentlicht ist, kann dem Landgericht in seiner Auslegung der Kündigungserklärung der Versicherungsnehmerin vom 18. Februar 2019 nicht gefolgt werden. Die Klägerin habe dieser vielmehr auch den Widerruf des zu Gunsten des Streitverkündeten bestehenden Bezugsrechts entnehmen müssen. Die Todesfallleistung habe der Beklagten folglich als Erbin der Versicherungsnehmerin zugestanden. Der Widerruf der Bezugsberechtigung durch den Versicherungsnehmer erfolge durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem Versicherer, die auf den Zeitpunkt ihrer Abgabe abstellend aus Sicht des Versicherers als objektiver Empfänger gemäß §§ 133, 157, 242 BGB auszulegen sei. Ausgehend davon sei festzuhalten, dass die Versicherungsnehmerin sich in ihrem Kündigungsschreiben nicht ausdrücklich zu Fortbestand oder Widerruf des Bezugsrechts geäußert und auch keine Angaben zu den Hintergründen ihrer Kündigung gemacht habe.
Damit stelle sich die Frage, ob einer Kündigungserklärung des Versicherungsnehmers im Regelfall, das heiße ohne Hinzutreten gegenläufiger Anhaltspunkte, der Wille zu entnehmen sei, dass er zugleich widerruflich bestehende Bezugsrechte widerrufen wolle (§§ 133, 157 BGB). Diese Frage sei zu bejahen. Denn dies entspreche der im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigenden regelmäßigen Interessenlage des Versicherungsnehmers, soweit diese für den Versicherer erkennbar werde. Begehre der Versicherungsnehmer mit der Kündigung Auszahlung des zu seinen Gunsten bestehenden Versicherungswerts an sich, bringe er damit nicht anders als ein Insolvenzverwalter, der den Vermögenswert zur Masse ziehen will, zum Ausdruck, dass er den Wert der Versicherung seinem liquiden Vermögen zuführen wolle. Seinen Tod werde er regelmäßig nicht bedenken, wofür auch kein Anlass bestehe, weil sein Vermögen durch den Tod nicht verloren gehe (§ 1922 BGB). Da das Fortbestehen eines Bezugsrechts zu Gunsten eines Dritten diesem wirtschaftlichen Ergebnis zuwiderlaufe, sei die Kündigungserklärung dahin auszulegen, dass damit schlüssig auch der Widerruf dieses Bezugsrechts erklärt werde. Es sei auch keine differenzierende Betrachtung danach geboten, ob es sich um ein Erlebensfall- oder ein Todesfallbezugsrecht handele. Zwar möge es Fälle geben, bei denen dem Versicherungsnehmer daran gelegen sei, trotz des in der Regel überschaubaren Zeitraums bis zum Wirksamwerden seiner ordentlichen Kündigung einen Dritten für diesen Zeitraum abzusichern, obwohl er erklärt hat, den Versicherungswert seinem eigenen Vermögen zuführen zu wollen. Dies seien aber atypische Fälle, die an der grundsätzlichen Interessenlage nichts änderten.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Die Kündigungserklärung des Versicherungsnehmers einer Lebensversicherung, die mit einem Auszahlungsbegehren an sich selbst verbunden ist, enthält entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts jedenfalls bei einem Bezugsrecht auf den Todesfall – wie hier – ohne weitere Anhaltspunkte nicht stets zugleich konkludent auch den Widerruf dieses Bezugsrechts.
1. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht allerdings an, dass der Widerruf der Bezugsberechtigung durch den Versicherungsnehmer eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem Versicherer ist, die auf den Zeitpunkt ihrer Abgabe abstellend aus Sicht des Versicherers als objektiver Empfänger gemäß §§ 133, 157, 242 BGB auszulegen ist. Der Tatrichter hat nach ständiger Senatsrechtsprechung eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung so auszulegen, wie der Erklärungsempfänger sie nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte von seinem Empfängerhorizont aus verstehen musste. Innerhalb dieses normativen Rahmens kommt es darauf an, was der Erklärende gewollt und inwieweit er seinen Willen für den Erklärungsempfänger erkennbar zum Ausdruck gebracht hat (vgl. Senatsurteil vom 21. Mai 2008 – IV ZR 238/06, VersR 2008, 1054 Rn. 30 m.w.N.). Das Berufungsgericht hat insoweit auch zu Recht ausgeführt, dass die Versicherungsnehmerin sich in ihrem Kündigungsschreiben vom 18. Februar 2019 nicht ausdrücklich zum Fortbestand oder Widerruf des Bezugsrechts geäußert und auch keine Angaben zu den Hintergründen ihrer Kündigung gemacht hat, sondern der für die Klägerin erkennbare, ausdrückliche Gehalt der Erklärung sich darauf beschränkt, dass die Versicherungsnehmerin den Vertrag zum nächstmöglichen Termin beendet wissen will und darum bittet, dass „der Restbetrag“ auf ihr Konto überwiesen werden möge.
Unvereinbar damit ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, dass ohne Hinzutreten gegenläufiger Anhaltspunkte in einem Kündigungsschreiben diesem regelmäßig der Wille des Versicherungsnehmers zu entnehmen ist, dass er zugleich widerruflich bestehende Bezugsrechte widerrufen will. Zwar unterliegt die tatrichterliche Auslegung rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen einer nur eingeschränkten Revisionskontrolle, die lediglich prüft, ob gesetzliche Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) oder Verfahrensvorschriften verletzt, Denk- oder Erfahrungssätze missachtet und vom Tatrichter selbst festgestellte, entscheidungserhebliche Tatsachen nicht gebührend berücksichtigt worden sind (vgl. Senatsurteil vom 21. Mai 2008 – IV ZR 238/06, VersR 2008, 1054 Rn. 29 m.w.N.). Aber auch nach diesem Maßstab kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Die von ihm angenommene Regel beruht nicht auf der Auslegung der konkreten Willenserklärung, sondern, wie das Berufungsgericht selbst einräumt, in der Annahme eines Erfahrungssatzes, den es in der von ihm angenommenen Allgemeinheit jedenfalls im Fall eines Bezugsrechts auf den Todesfall nicht gibt.
162. In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings umstritten, ob einer Kündigungserklärung des Versicherungsnehmers im Regelfall, ohne Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte, konkludent auch der Wille des Versicherungsnehmers zu entnehmen ist, dass er damit zugleich ein widerruflich bestehendes Bezugsrecht widerrufen will.
a) Dieser Ansicht ist in der Rechtsprechung insbesondere der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs. Er hat die vom Berufungsgericht angenommene Auslegungsregel ohne nähere Begründung anknüpfend an ein Zitat von Kollhosser (in Prölss/Martin, VVG 25. Aufl. § 165 Anm. 1a) in einem Urteil vom 4. März 1993 vertreten (BGH, Urteil vom 4. März 1993 – IX ZR 169/92, VersR 1993, 689 unter II 3 [juris Rn. 13]). Dort ging es um die Frage, ob ein Widerruf der Bezugsberechtigung noch erforderlich ist, wenn im Fall des Konkurses des Versicherungsnehmers der Konkursverwalter nicht Erfüllung des Lebensversicherungsvertrages gewählt hat und der Vertrag mit Konkurseröffnung endgültig in ein Abwicklungsverhältnis umgestaltet worden ist. Der Konkursverwalter müsse dann den Vertrag nicht mehr kündigen und ein Widerruf der Bezugsberechtigung sei ebenfalls nicht erforderlich (BGH, aaO Rn. 11-13). In späteren Urteilen hat der IX. Zivilsenat diese Regel nur eng bezogen auf das Insolvenzrecht angenommen (vgl. BGH, Urteile vom 9. Oktober 2014 – IX ZR 41/14, VersR 2014, 1444 Rn. 26; vom 7. April 2005 – IX ZR 138/04, VersR 2005, 923 unter 2 b bb [juris Rn. 13]).
In der Literatur wird eine solche Auslegungsregel ebenfalls teilweise befürwortet, und zwar meist unter Hinweis auf Entscheidungen des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (Leithoff in Staudinger/Halm/Wendt, VVG 2. Aufl. § 159 Rn. 11; Leithoff in Höra/Schubach, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, 5. Aufl. § 25 Rn. 375; Leverenz in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 185 Rn. 33; Ortmann in Schwintowski/ Brömmelmeyer/Ebers, VVG-PK 4. Aufl. § 159 Rn. 69; Reiff in Halm/ Engelbrecht/Krahe, Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht 6. Aufl. 21. Kap. Rn. 31; Reiff in Prölss/Martin, VVG 31. Aufl. § 168 Rn. 19; Reiff/Schneider in Prölss/Martin, VVG 31. Aufl. ALB § 9 Rn. 19; Winter in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 168 Rn. 46). Teilweise wird die Regel allerdings einschränkend nur unter der Voraussetzung angenommen, dass es einen Anhalt dafür gibt, dass der Versicherungsnehmer den Rechtserwerb des Bezugsberechtigten beim Eintritt des Versicherungsfalles vor dem Wirksamwerden der Kündigung verhindern will (Winter in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 159 Rn. 230).
b) Nach anderer Ansicht gibt es keinen Erfahrungssatz, wonach die Kündigung eines Lebensversicherungsvertrages, jedenfalls durch den Versicherungsnehmer, zugleich den Widerruf der Bezugsberechtigung einschließt (so in Abgrenzung zur Entscheidung des IX. Zivilsenats vom 4. März 1993 – IX ZR 169/92, VersR 1993, 689 und zum Konkursrecht OLG Köln, VersR 2002, 299 unter 3 [juris Rn. 39, 40]; LG Wuppertal, Urteil vom 25. März 2021 – 4 O 288/20, juris Rn. 19; MünchKomm-VVG/Heiss, 2. Aufl. § 159 Rn. 52; Patzer in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 159 Rn. 18; Brambach in Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-VVG 4. Aufl. § 168 Rn. 21; Grote in Langheid/Rixecker, VVG 7. Aufl. § 168 Rn. 20; Baroch Castellvi in Präve, Lebensversicherung, 2016 § 12 ARB Rn. 31 sieht nur in der Kündigung des Erlebensfallbezugsrechts einen konkludenten Widerruf. Für den Todesfall treffe der Versicherungsnehmer hingegen keine konkludente Aussage.).
20c) Die letztgenannte Auffassung trifft zu. Es gibt – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – keinen Erfahrungssatz, wonach die Kündigung eines Lebensversicherungsvertrages durch den Versicherungsnehmer stets zugleich den Widerruf der Bezugsberechtigung auf den Todesfall enthält. Vielmehr ist auch in einem solchen Fall die Frage, ob die Kündigung konkludent nach dem Willen des Versicherungsnehmers ebenfalls einen Widerruf der Bezugsberechtigung enthalten soll, durch Auslegung seiner Erklärung zu beantworten. Zu berücksichtigen ist dabei nach ständiger Senatsrechtsprechung, dass bei einer Erklärung im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung im Interesse des Vertragspartners, hier des Versicherers, weitgehend auf deren Wortlaut und darauf abzustellen ist, wie die Erklärung aus dessen Sicht zu verstehen ist (vgl. Senatsurteile vom 14. Februar 2007 – IV ZR 150/05, VersR 2007, 784 Rn. 15 und vom 1. April 1987 – IVa ZR 26/86, VersR 1987, 659 unter 1 [juris Rn. 10]). Außerdem soll der Versicherer im Interesse einer schnellen und reibungslosen Abwicklung des Versicherungsfalls nicht – mitunter schwierige – Auslegungsfragen entscheiden müssen (vgl. Senatsurteil vom 14. Februar 2007 aaO). Danach ist im Streitfall der Kündigungserklärung der Versicherungsnehmerin aus Sicht der Klägerin nicht konkludent der Widerruf der Bezugsberechtigung zu entnehmen. Ein solcher erschließt sich der Klägerin auch nicht aus den Umständen. Aus dem Wortlaut des Schreibens ergibt sich für sie nur die Erklärung der Kündigung, jedoch ergeben sich daraus keine Gründe, warum die Versicherungsnehmerin diese erklärt hat. Es steht auch nicht fest, dass die Klägerin Anhaltspunkte für weitere mit der Kündigungserklärung möglicherweise beabsichtigte Zwecke der Versicherungsnehmerin gehabt hätte. Im Hinblick auf das hier vereinbarte Bezugsrecht auf den Todesfall gibt es auch keinen Hinweis für die Klägerin, dass sich die wirtschaftlichen Motive der Versicherungsnehmerin, insbesondere ihren Lebensgefährten im Todesfall finanziell zu bedenken, insoweit geändert haben könnten.
Zwar darf nach der Senatsrechtsprechung der Empfänger der Erklärung dieser nicht einfach den für ihn günstigsten Sinn beilegen, sondern muss unter Berücksichtigung aller ihm bekannten Umstände mit gehöriger Aufmerksamkeit prüfen, was der Erklärende gemeint hat, insbesondere dann, wenn erkennbar eine von zwei möglichen Auslegungen für den Erklärenden wirtschaftlich wenig Sinn macht (vgl. Senatsurteil vom 21. Mai 2008 – IV ZR 238/06, VersR 2008, 1054 Rn. 30). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts liegt ein derartiger Fall hier – entgegen seiner Annahme – aber nicht vor, denn aus der Kündigungserklärung der Versicherungsnehmerin ergibt sich nur, dass sie den Vertrag zum 1. April 2019 beendet wissen will und darum bittet, dass „der Restbetrag“ auf ihr Konto überwiesen wird. Ausgehend vom Empfängerhorizont der Klägerin war damit für diese nur erkennbar, dass die Versicherungsnehmerin eine Beendigung des Versicherungsvertrages zum nächstmöglichen Termin wünschte. Die Klägerin musste daraus nicht zweifelsfrei schließen, dass die Versicherungsnehmerin auf jeden Fall auch den sofortigen Widerruf der Bezugsberechtigung gewollt hat, weil nur dies für sie wirtschaftlich sinnvoll war. Das lässt sich weder dem Schreiben entnehmen noch gibt es dafür sonst Anhaltspunkte. Die Kündigungserklärung lässt zwar auf den Willen der Versicherungsnehmerin schließen, solange sie (noch) lebt, unmittelbar auf das Geld zugreifen zu können. Nichts deutet aber aus Sicht der Klägerin darauf hin, dass die Versicherungsnehmerin im Fall ihres Todes vor Wirksamwerden der Kündigungserklärung eine Änderung des Bezugsrechts zu Lasten des Streitverkündeten und zugunsten ihrer Erbin gewollt hat.
Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich ein solcher Wille auch nicht daraus, dass die Versicherungsnehmerin hier schon zu Lebzeiten vierteljährlich Rente bezogen hat und in einem solchen Fall der Versicherungsnehmer die Leistungen, die der Versicherer im Todesfall eigentlich an die als bezugsberechtigt benannte Person zu erbringen hat, genauso behandelt wissen möchte, wie jene, die schon bisher regelmäßig als Rentenzahlungen erbracht wurden. Gegen die Annahme eines solchen Willens der Versicherungsnehmerin spricht schon der Umstand, dass sie selbst gerade getrennt hat zwischen dem Bezugsrecht zu Lebzeiten und dem Bezugsrecht auf den Todesfall. Anders als das Interesse des Insolvenzverwalters, den gesamten Vermögenswert der Versicherung zur Masse zu ziehen, liegt das Interesse des Versicherungsnehmers im Todesfall für den Versicherer nicht klar auf der Hand. In den dem Lebensversicherungsvertrag zugrundeliegenden AVB ist in § 12 Nr. 4 ausdrücklich geregelt, dass der Klägerin der Widerruf des Bezugsrechts schriftlich angezeigt werden muss. Daran fehlt es hier.
23III. Da keine weiteren Feststellungen erforderlich sind, kann der Senat gemäß § 563 Abs. 3 ZPO die Sache selbst entscheiden.
Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 22.04.2021 – 2 O 76/20 –
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 10.02.2022 – 7 U 165/21 -