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BU-Leistungseinstellung bei überobligatorisch erlangten neuer Fähigkeiten?

Das Oberlandesgericht Nürnberg hat mit Urteil vom 07.11.2022 (Aktenzeichen: 8 U 2115/20) ausgeführt, dass es dem Berufsunfähigkeits-Versicherer nicht verwehrt ist, seinen Versicherungsnehmer auf eine Tätigkeit zu verweisen, die er infolge einer nach Anerkennung der Leistungspflicht vollzogenen überobligatorischen Umschulung oder Weiterbildung ausübt.

Dem Urteil des OLG Nürnberg lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Die Parteien streiten über Leistungen aus einer selbständigen Berufsunfähigkeitsversicherung.

 

Der seit dem 01.11.2001 bestehende Vertrag sieht im Falle einer mindestens 50%-igen Berufsunfähigkeit eine monatlich, längstens bis zum 31.10.2043 zu zahlende Rente von 767,00 € zzgl. Leistungen aus der Überschussbeteiligung vor. Die in den Vertrag einbezogenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten enthalten u.a. folgende Klauseln:

 

§ 2 - Was ist Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen?

(1) Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens 3 Jahre außerstande sein wird, ihren Beruf (bei Selbständigen auch nach einer zumutbaren Umorganisation des Betriebes) auszuüben und sie auch keine andere Tätigkeit ausübt, die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.

§ 13 - Was gilt für die Nachprüfung der Berufsunfähigkeit?

(1) Nach Anerkennung oder Feststellung unserer Leistungspflicht sind wir berechtigt, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit und ihren Grad nachzuprüfen; dies gilt auch für zeitlich begrenzte Anerkenntnisse nach § 12. Dabei können wir erneut prüfen, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ausübt.

 

Zur ursprünglichen Tätigkeit führte das OLG aus:

 

Seit dem 01.09.2008 war der damals 25-jährige Kläger wegen eines Bandscheibenvorfalls mit anschließender Operation der Lendenwirbelsäule nicht mehr in der Lage, seine berufliche Tätigkeit als Anlagenmechaniker (Schweißer im Rohr- und Behälterbau) auszuüben. Mit Schreiben vom 01.04.2010 erkannte die Beklagte erstmals ihre Leistungspflicht an gemäß späterem Schreiben rückwirkend zum 01.09.2008. Die monatliche Rentenzahlung betrug 776,70 €.Im Anschluss an entsprechende Nachprüfungen teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 18.12.2013 (Anlage K 5) und vom 14.06.2016 (Anlage K 6) mit, dass die Leistungen weiter erbracht werden.

 

Zur Weiterbildung/Umschulung des Klägers führte das OLG aus:

 

Nach erfolgter Weiterbildung und Umschulung war der Kläger als Maschinenbautechniker und Konstrukteur tätig, zuletzt seit Januar 2017 bei der Fa. M. Im Zuge einer erneuten Nachprüfung mit ärztlicher Untersuchung teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 11.04.2017 mit, dass sie ihre Leistungen ab 01.06.2017 einstellen werde (Anlage K 8). Ein bedingungsgemäßer Grad der Berufsunfähigkeit von mindestens 50% werde mit Aufnahme der neuen Tätigkeit seit Januar 2017 nicht mehr erreicht. Diese neue Tätigkeit sei dem Kläger zumutbar und wahre dessen Lebensstellung.

 

[...]

 

Das Landgericht Regensburg (Az.: 33 O 2031/18) hat der Klage ohne Beweisaufnahme mit Endurteil vom 15.06.2020 vollständig stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass mangels vertraglicher Regelung neu erworbene Fähigkeiten und Kenntnisse bei der Verweisung auf einen anderen Beruf nicht zu berücksichtigen seien. Der Kläger sei nicht verpflichtet gewesen, sich einer Umschulungsmaßnahme zu unterziehen. Überobligatorisch erlangte neue Fähigkeiten könnten daher eine Leistungseinstellung nicht rechtfertigen. Es sei folglich unerheblich, ob der Beklagten die aktuelle berufliche Tätigkeit des Klägers bereits anlässlich des vorherigen Nachprüfungsverfahrens bekannt gewesen sei und ob dieser Beruf der bisherigen Lebensstellung des Klägers entspreche.

 

 

Das OLG hat das Urteil des Landgerichts Regensburg mit folgender Begründung aufgehoben:

 

 

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Klageabweisung.

 

Die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen waren unvollständig und erforderten eine Beweisaufnahme (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die sodann im Berufungsverfahren zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

 

1. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat für den Zeitraum ab 01.06.2017 keinen Anspruch auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung gemäß § 1 Abs. 1 Buchst. a und b AVB-BU. Denn die Beklagte hat ihre Leistungen gemäß § 13 Abs. 4 AVB-BU wirksam eingestellt.

 

Die Beklagte hatte ihre Leistungspflicht zuletzt im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens am 14.06.2016 unbefristet anerkannt (Anlage K 6). Die Beendigung der Leistungspflicht richtete sich ebenfalls nach den Regeln des Nachprüfungsverfahrens.

 

a) Das Schreiben der Beklagten vom 11.04.2017 (Anlage K 8) genügt den formellen Anforderungen. Nach §13 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 AVB-BU hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer eine Mitteilung darüber zu machen, dass die bereits anerkannte Leistungspflicht wieder enden soll. Voraussetzung der Wirksamkeit einer solchen Mitteilung ist deren Nachvollziehbarkeit, also grundsätzlich eine Begründung, aus der für den Versicherten nachvollziehbar wird, warum nach Auffassung seines Vertragspartners die anerkannte Leistungspflicht enden soll (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 03.11.1999 -IV ZR 155/98, r+s 2000, 213, 215).

 

Hat sich der Gesundheitszustand nicht geändert, aber eine neue Verweisungsmöglichkeit ergeben, ist eine berufsbezogene Vergleichsbetrachtung nötig und es müssen die hieraus abgeleiteten Folgerungen aufgezeigt werden. Dabei sind die frühere, bis zum Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit und die jetzt ins Auge gefasste Tätigkeit unter Darlegung der jeweiligen Anforderungen und erforderlichen Fähigkeiten sowie der finanziellen und sozialen Wertschätzung gegenüberzustellen (vgl. Prölss/Martin/Lücke, VVG, 31. Aufl., § 174 Rn. 25; Knechtel in: Ernst/Rogler, Berufsunfähigkeitsversicherung, § 9 BUV Rn. 111). Die Anforderungen an die Vergleichsbetrachtung sind jedoch geringer, wenn bei einer konkreten Verweisung der Versicherte den neuen Beruf - wie hier - bereits ausübt, ihn also kennt und zu einer entsprechenden Beurteilung in der Lage ist (vgl. BGH, aaO; OLG Saarbrücken, r+s 2010, 521).

 

Die Einstellungsmitteilung vom 11.04.2017 stellt die frühere, bis August 2008 ausgeübte Tätigkeit des Klägers und die Vergleichstätigkeit mit ihren jeweiligen Anforderungen gegenüber. Auch die Einschränkungen im Rahmen der Vergleichstätigkeit werden genannt. Das Untersuchungsergebnis des vollständig beigefügten Gutachtens des Herrn Dr. S. vom 20.02.2017 wird übersichtlich und verständlich zusammengefasst. Dies gilt auch für die daraus abgeleitete Folge, wonach bei dem Kläger spätestens seit Januar 2017 ein bedingungsgemäßer Grad der Berufsunfähigkeit von mindestens 50% nicht mehr vorliege. Die knappen Ausführungen zur Wahrung der Lebensstellung erwähnen zwar ausschließlich das nunmehr höhere erzielte Einkommen, sind aber als ausreichend zu betrachten. Erkennbares Ziel der Beklagten mit dem Schreiben vom 11.04.2017 war es, nach dem Wegfall der Berufsunfähigkeit die Leistungen zum nächstmöglichen Zeitpunkt einzustellen.

 

b) Die sich eröffnende Verweisungsmöglichkeit ist nicht durch zeitlich frühere Nachprüfungsentscheidungen der Beklagten „verbraucht“ worden.

 

Verweisungsmöglichkeiten, die dem Versicherer schon bei Abgabe des Leistungsanerkenntnisses zu Gebote standen, hat dieser für die Zukunft verloren (vgl. BGH, Urteil vom 17.02.1993 - IV ZR 206/91, r+s 1994, 72 unter II. 2. c). Nichts anderes gilt, wenn der Versicherer nach Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens erneut seine Leistungspflicht anerkennt (vgl. OLG Karlsruhe, r+s 2014, 566).

 

Soweit ein erstes Nachprüfungsverfahren im Dezember 2013 abgeschlossen worden ist (Anlage K 5), hatte die Beklagte zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nur Kenntnis von einer im Jahre 2011 erfolgreich abgeschlossenen Umschulung zum Maschinenbautechniker und einer Tätigkeit in diesem Beruf (Anlagen zur Berufungserwiderung des Klägers, Bl. 90 ff. d.A.). Von der konkreten Tätigkeit als Maschinenbautechniker und Konstrukteur, der hierdurch gegebenen Wahrung der Lebensstellung des Klägers und der sich ergebenden Verweisungsmöglichkeit hat die Beklagte aber erst im Rahmen des streitgegenständlichen Nachprüfungsverfahrens Kenntnis erlangt. Jedenfalls lässt sich den bei der Gerichtsakte befindlichen Unterlagen nichts Gegenteiliges entnehmen. Darüber hinaus ist unwidersprochen geblieben, dass der Kläger im Zeitpunkt der früheren Nachprüfungen ein geringeres Bruttoeinkommen erzielt hat, so dass eine Verweisung seinerzeit nicht in Betracht kam (Schriftsatz der Beklagten vom 23.09.2020, Bl. 96 d.A.; vgl. auch Anlagenkonvolut K 16).

 

c) Im Zeitpunkt der Mitteilung vom 11.04.2017 waren auch die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Wegfall der Leistungspflicht der Beklagten gegeben.

 

aa) Die dem streitgegenständlichen Vertrag zugrundeliegenden Bedingungen erlauben es der Beklagten, den Kläger auf eine tatsächlich ausgeübte Tätigkeit zu verweisen (konkrete Verweisung; § 2 Abs. 1 AVB-BU). Dies gilt auch im Nachprüfungsverfahren, also für Tätigkeiten, die der Versicherungsnehmer nach Anerkennung der Leistungspflicht aufgenommen hat (§ 13 Abs. 1 AVB-BU).

 

Diese Klausel spricht nur von einer „anderen Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1“. Daher ergibt sich auch der im Rahmen des § 13 AVB-BU anzuwendende Maßstab für den Fortbestand der Berufsunfähigkeit unmittelbar und unverrückbar aus § 2 Abs. 1 AVB-BU (vgl. BGH, Urteile vom 11.12.1996 - VI ZR 238/95, r+s 1997, 301 und vom 03.11.1999 - IV ZR 155/98, r+s 2000, 213). §2 Abs. 1 AVB-BU stellt nur auf eine tatsächlich ausgeübte „andere Tätigkeit“ ab. Auch § 13 Abs. 1 AVB-BU spricht nur von der Möglichkeit, die Ausübung einer „anderen Tätigkeit“ zu berücksichtigen. Obwohl das Bedingungswerk dies - anders als die Musterbedingungen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 BB-BUZ) - nicht ausdrücklich erwähnt, darf hierbei entgegen der knapp begründeten Ansicht der Vorinstanz (LGU 6/7) auch eine Tätigkeit berücksichtigt werden, die die versicherte Person aufgrund von Fähigkeiten und Kenntnissen ausübt, die sie nach Eintritt des Versicherungsfalls neu hinzuerworben hat. Dem steht nicht entgegen, dass die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten den Versicherungsnehmer nicht zum Erwerb neuer beruflicher Fähigkeiten verpflichten. Ebenso wenig war der Kläger aus sonstigen Gründen gehalten, sich fortzubilden oder umschulen zu lassen (vgl. BGH, Urteile vom 30.05.1990 - IV ZR 43/89, VersR 1990, 885 und vom 11.12.1996 - VI ZR 238/95, r+s 1997, 301 unter II. 2. c).

 

Die hieraus folgenden Konsequenzen werden in Rechtsprechung und Schrifttum allerdings nicht einheitlich beantwortet.

 

(1) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 19.06.2013 - IV ZR 228/12, NJW-RR 2013, 1252 Rn. 18 m.w.N.).

 

Aus § 174 VVG in der seit dem 01.01.2008 geltenden Fassung kann für diese Auslegung schon deshalb nichts gewonnen werden, weil jene Vorschrift auf den hier vorliegenden Altvertrag keine Anwendung findet (Art. 4 Abs. 3 EGVVG). Es muss daher im Streitfall nicht entschieden werden, ob der dort geregelte Wegfall der „Voraussetzungen der Leistungspflicht“ auch ohne entsprechende Klauseln durch neu erworbene berufliche Fähigkeiten verursacht worden sein kann (vgl. hierzu Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl., § 174 Rn. 19; HK-VVG/Mertens, 4. Aufl., § 174 Rn. 6).

 

(2) In einer Entscheidung aus dem Jahre 1987 hat sich der Bundesgerichtshof zur Auslegung einer in den Versicherungsbedingungen enthaltenen Nachprüfungsklausel unter Berücksichtigung der Unklarheitenregel des § 5 AGBG geäußert (vgl. BGH, Urteil vom 13.05.1987 - IVa ZR 8/86, NJW-RR 1987, 1050). Im damals entschiedenen Fall sah allerdings die Klausel zur Definition der Berufsunfähigkeit eine abstrakte Verweisung auf „eine andere Tätigkeit, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann“ vor. Mangels ausdrücklicher Regelung in der Nachprüfungsklausel können hierunter nach Ansicht des Bundesgerichtshofs keine künftigen Erfahrungen und Ausbildungen verstanden werden, sondern nur solche, die im Zeitpunkt des Anerkenntnisses bereits vorhanden waren (ebenso OLG Köln, VersR 2002, 345).

 

In einer späteren Entscheidung hat der Bundesgerichtshof maßgeblich darauf abgestellt, dass die „andere Tätigkeit“ nach dem Sinnzusammenhang der fraglichen Klauseln durch die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit geprägt werde. Damit sei die Verweisung auf solche Tätigkeiten ausgeschlossen, deren Ausübung deutlich geringere Fähigkeiten und Erfahrung erfordert als der bisherige Beruf. Denn die Lebensstellung des Versicherten werde von der Qualifikation seiner Erwerbstätigkeit bestimmt (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2016 - IV ZR 434/15, NJW 2017, 731 Rn. 15). Der Bundesgerichtshof hat also die beruflichen Fähigkeiten und Erfahrungen in den Worten „ihren Beruf“ und „bisherige Lebensstellung“ verankert, wobei es im konkreten Fall um den Verweis auf eine geringer qualifizierte Tätigkeit ging, also eine „Untergrenze“ der Verweisung gezogen worden ist.

 

(3) In der veröffentlichen instanzgerichtlichen Judikatur hat bislang insbesondere das LG Nürnberg-Fürth im Sinne des Klägers entschieden (r+s 2018, 209; die Sache wurde in zweiter Instanz vor dem erkennenden Senat durch Vergleich erledigt). Ihm ist die hiesige Vorinstanz ausdrücklich gefolgt (LGU 6). Danach könne der Versicherungsnehmer den Versicherungsbedingungen eine Obliegenheit zum Erwerb neuer beruflicher Fähigkeiten und - noch viel weniger - daran anknüpfende für ihn nachteilige Konsequenzen nicht entnehmen. Er werde darüber hinaus Klauseln, die eine durch die Kriterien der „Ausbildung und Fähigkeiten“ gezogene Obergrenze für die Verweisung gar nicht formulieren, auch nicht dahingehend verstehen, dass er nun auch auf - überobligatorisch - ausgeübte Tätigkeiten verwiesen werden kann, die er aufgrund fehlender Ausbildung und Fähigkeiten an sich gar nicht sachgerecht auszuüben in der Lage sei.

 

Auch in weiten Teilen des Schrifttums wird - jedenfalls bei Altverträgen wie dem vorliegenden - eine Berücksichtigung neu erworbener Fähigkeiten ohne eine dies ausdrücklich regelnde Klausel verneint (vgl. MüKo-VVG/Dörner, 2. Aufl., § 174 Rn. 14; Prölss/Martin/Lücke, VVG, 31. Aufl., § 174 Rn. 16; Neuhaus in: Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, Praxiskommentar zum VVG, 4. Aufl., §174 Rn. 14; Rogler in: Ernst/Rogler, Berufsunfähigkeitsversicherung, BUV § 2 Rn. 552; ders., r+s 2017, 87, 90; Knechtel in: Ernst/Rogler, Berufsunfähigkeitsversicherung, BUV § 9 Rn. 49; Gebert in: Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 4. Aufl., § 9 Rn. 88; Höra, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, 4. Aufl., § 26 Rn. 187). Der sich überobligatorisch fortbildende Versicherungsnehmer dürfe bei Fehlen einer entsprechenden Klausel nicht „bestraft“ werden (vgl. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl., Kap. 14 Rn. 65).

 

(4) Namentlich das OLG München (r+s 2016, 479 = VersR 2016, 384) und das OLG Stuttgart (BeckRS 2016, 3584 = MDR 2016, 274) haben zu Bedingungswerken, die mit dem vorliegenden nahezu identisch waren, eine gegenteilige Ansicht vertreten. Für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer, der in der Regel keine Kenntnis von den üblichen Formulierungen zu abstrakten Verweisungsklauseln habe, ergebe sich kein konkreter Hinweis, dass der Versicherer bei einer Nachprüfung darauf beschränkt sei, nur solche neuen Tätigkeiten zu berücksichtigen, die der Versicherte aufgrund seiner Ausbildung und Fähigkeiten bis zur Geltendmachung der Berufsunfähigkeit habe ausüben können.

40Diesen Entscheidungen hat sich ein anderer Teil des Schrifttums angeschlossen (vgl. HK-VVG/Mertens, 4. Aufl., BUZ § 6 Rn. 3; BeckOK-VVG/Mangen, § 174 Rn. 18 [Stand: 01.08.2021]; Klenk in: Looschelders/ Pohlmann, VVG, 3. Aufl., § 174 Rn. 11). Die eingelegten Nichtzulassungsbeschwerden blieben jeweils ohne Erfolg (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11.11.2015 - IV ZR 252/15, BeckRS 2015, 116970 und vom 25.01.2017 - IV ZR 545/15, n.v.).

 

(5) Der Senat folgt ebenfalls der zuletzt genannten Ansicht. Nach dem eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut der auch für die Nachprüfungsentscheidung maßgeblichen Klausel in § 2 Abs. 1 AVB-BU kommt es nur darauf an, ob der neue Beruf der bisherigen Lebensstellung entspricht. Demgemäß hat sich die Beklagte in § 13 Abs. 1 AVB-BU die spätere erneute Prüfung der Frage vorbehalten, ob der Versicherungsnehmer eine andere Tätigkeit gefunden hat, die seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Eine Formulierung, die auch auf Ausbildung und Fähigkeiten abstellt, findet sich in keiner der maßgeblichen Klauseln. Es besteht für einen Versicherungsnehmer auch keine Veranlassung, nach einem derartigen Kriterium für die Zulässigkeit der Verweisung zu suchen oder zu fragen. Von der Existenz abweichender Bedingungsformulierungen und deren Entstehungsgeschichte hat er in der Regel keine Kenntnis. Wenn das Bedingungswerk hinsichtlich der „anderen Tätigkeit“ also schon gar keinen Bezug zu vorhandenen oder erworbenen Kenntnissen aufweist, so wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung zum Ergebnis kommen, dass die Frage von Kenntnissen und Fähigkeiten keine Rolle spielt (vgl. Scheu, jurisPR-VersR 7/2018 Anm. 2; HK-VVG/Mertens, 4. Aufl., § 172 Rn. 67). Demzufolge ist es auch nicht erforderlich, dass der Versicherte in dem Verweisungsberuf Kenntnisse und Fähigkeiten verwerten kann, die er zur und während der Ausübung seines alten Berufs erworben hat (vgl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 1997, 791, 792).

 

Darüber hinaus ist es nicht fernliegend oder ungewöhnlich, dass der Versicherungsnehmer im Zeitraum zwischen der Anerkennung der Leistungspflicht und der Nachprüfungsentscheidung erfolgreich Weiterbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen absolviert hat und in einem hierdurch eröffneten neuen Beruf Fuß fasst. Ein damit unter Umständen verbundener Wegfall der Leistungspflicht des Versicherers erscheint nicht unbillig. Der Gedanke einer „Bestrafung“ des freiwillig solche Maßnahmen durchlaufenden Versicherungsnehmers geht im Übrigen am Zweck einer Berufsunfähigkeitsversicherung vorbei. Sie soll die finanziellen Nachteile, die mit dem Ausfall oder einer wesentlichen Einschränkung der Arbeitskraft regelmäßig einhergehen, ausgleichen und helfen, einen sozialen Abstieg des Versicherten im Berufsleben und in der Gesellschaft zu verhindern (vgl. BGH, Urteil vom 08.02.2012 - IV ZR 287/10, r+s 2012, 192 Rn. 14 m.w.N.; BeckOK-VVG/Mangen, § 172 Rn. 4 [Stand: 01.08.2022]). Es spielt daher für die Frage der Verweisung auch keine Rolle, dass der Versicherte nicht im Sinne einer Obliegenheit oder einer Schadensminderung verpflichtet oder nach Treu und Glauben gehalten ist, neue berufliche Fähigkeiten zu erwerben (vgl. Baumann in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., §174 Rn. 53).

 

Für die Nachprüfungsentscheidung kommt es im vorliegenden Fall somit in materieller Hinsicht nur auf die Wahrung der bisherigen Lebensstellung und die gesundheitlichen Voraussetzungen an.

 

bb) Der Kläger war im Zeitpunkt der Mitteilung vom 11.04.2017 gesundheitlich imstande, den Verweisungsberuf in einem die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließenden Grad auszuüben.

 

Der Kläger hat dies bestritten. Er hat geltend gemacht, das Gutachten des Herrn Dr. S. vom 20.02.2017 (Anlagenkonvolut K 8) sei fehlerhaft, insbesondere soweit der Gutachter von einem sich bessernden Zustand und nicht mehr nötigen Operationen ausgehe. Es oblag daher der Beklagten als Versicherer, die medizinischen Voraussetzungen nachzuweisen. Denn es handelt sich um einen Umstand, der im Rahmen der Nachprüfung zu einem Wegfall der Leistungspflicht führen würde (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2016 -IV ZR 434/15, NJW 2017, 731 Rn. 18 m.w.N.).

 

Diesen Beweis hat die Beklagte mithilfe des in zweiter Instanz erholten Sachverständigengutachtens zur zweifelsfreien Überzeugung des Senats erbracht (§§ 525, 286 Abs. 1 ZPO).

 

(1) Mit Beschluss vom 18.10.2021 hat der Senat ein schriftliches Sachverständigengutachten in Auftrag geben. Darin wurden der Sachverständigen insbesondere der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt und die bedingungsgemäße Definition der Berufsunfähigkeit vorgegeben. Es wurde ferner darauf hingewiesen, dass eine Prognoseentscheidung der Beklagten vom 11.04.2017 zu beurteilen sei, welche maßgeblich auf dem orthopädischen Gutachten des Herrn Dr. S. vom 20.02.2017 (Anlagenkonvolut K 8) beruhe. Die von der Sachverständigen zu beantwortende Beweisfrage solle klären, ob diese Prognoseentscheidung des Versicherers sich aus der damaligen Sicht (ex ante) als zutreffend erweise. Die spätere Entwicklung des Zustandes des Versicherungsnehmers habe daher als solche unberücksichtigt zu bleiben, da alles andere dem Wesen einer ex ante zu beurteilenden Prognoseentscheidung widerspräche (vgl. BGH, Urteile vom 30.06.2010 -IV ZR 163/09, NJW 2010, 3657 Rn. 33 und vom 20.06.2012 - IV ZR 141/11, NJW 2012, 2804 Rn. 12). Namentlich könne der weitere Krankheitsverlauf nicht als Indiz dafür dienen, dass das vom Versicherer veranlasste Gutachten schon aus früherer Sicht falsch war. Bei einem nachträglich erstellten Gerichtsgutachten müsse der Verlauf zwischen dem Zeitpunkt des ärztlich dokumentierten Befundes, für den der Versicherer das Ende seiner Leistungspflicht behauptet, und dem Zeitpunkt der Begutachtung durch die Sachverständige demgemäß außer Betracht bleiben.

 

(2) Auf dieser rechtlichen Grundlage hat die Sachverständige Dr. B. am 22.04.2022 ein schriftliches fachmedizinisches Gutachten erstattet. Die Sachverständige, Fachärztin für Orthopädie mit einer Zusatzqualifikation für spezielle Schmerztherapie, ist dem Senat seit langem als fachkundige, forensisch erfahrene und mit den Besonderheiten des Versicherungsprozesses vertraute Gutachterin bekannt.

 

Sie hat alle verfügbaren ärztlichen Befunde und Behandlungsberichte, einschließlich bildgebenden Materials, ausgewertet. Die Sachverständige hat festgestellt, dass bei dem Kläger zwischen 2008 und 2016 jeweils zweimalig eine offene Bandscheibenoperation und eine minimalinvasive Operation an der Lendenwirbelsäule in Höhe L 4/5 und L 5/S. 6 durchgeführt worden sei, zuletzt am 05.04.2016 mit einer Versteifung der zuvor genannten Wirbelsäulensegmente (dorsoventrale Spondylodese). Der Verlauf nach dieser letzten Operation sei unauffällig gewesen. Nach Abschluss einer anschließenden Rehabilitation habe der Kläger angegeben, dass die Stärke der Beschwerden deutlich nachgelassen habe und der Bedarf nach Schmerzmedikamenten rückläufig sei. Die Operation habe daher eine gute Wirkung gezeigt. Die eingebrachten Implantate hätten sich als reizlos und stabil erwiesen, ohne Hinweis auf eine Lockerung oder einen erneuten Bandscheibenvorfall. Auch für neurologische oder sensomotorische Ausfälle bei dem Kläger gebe es keine Anhaltspunkte, ebenso wenig für eine somatoforme Schmerzstörung.

 

Im Zeitpunkt der Begutachtung durch Herrn Dr. S. am 07.02.2017 habe der Kläger sein subjektives Schmerzniveau mit 2-3 von 10 angegeben. Er habe ferner erklärt, nur einmal täglich Diclofenac retard 75 mg einzunehmen.

 

Da im Rahmen der im April 2017 ausgeübten Tätigkeit des Klägers keine Arbeitsbelastung in Form von Heben oder Tragen bestanden habe und die Arbeiten sitzend oder stehend am (höhenverstellbaren) Schreibtisch auszuführen gewesen seien, habe es sich insgesamt um leichte Tätigkeiten gehandelt. Der Kläger habe seine Arbeitshaltung selbst wählen und wechseln können. Zwangshaltungen oder monotone Körperhaltungen seien nicht gefordert gewesen.

 

Im April 2017 habe es bei dem Kläger keine Hinweise auf eine zukünftig zu erwartende Verschlechterung der neurologischen und funktionellen Situation gegeben. Aufgrund einer gewissen Gewöhnung an die Symptomatik bei weiterhin niedrig dosiertem Schmerzmittelbedarf sowie guter medizinischer Trainingsmaßnahmen für die Wirbelsäule sei sogar mit einer Verbesserung des Gesundheitszustandes zu rechnen gewesen. Es habe sich auch im zeitlichen Verlauf nach April 2017 zunächst noch kein Hinweis auf eine Verschlechterung ergeben. Dass sich der von Herrn Dr. S. aufgestellte positive Befund auf lange Sicht nicht bewahrheitet habe und es schließlich im Mai 2018 zu einer weiteren Operation bei dem Kläger gekommen sei, habe man aus fachmedizinischer Sicht nicht vorhersehen können.

 

Daher sei - so die Sachverständige Dr. B. - aus orthopädischer Sicht festzustellen, dass der Kläger in seiner am 11.04.2017 ausgeübten beruflichen Tätigkeit nicht zu mindestens 50% für die Dauer von voraussichtlich mindestens 3 Jahren eingeschränkt gewesen sei. Anhand der vorliegenden medizinischen Befunde sei die Entscheidung der Beklagten ex ante nachvollziehbar, die Leistungen auf der Basis des Gutachtens des Herrn Dr. S. einzustellen.

 

Diese sachverständige Beurteilung gelte auch dann uneingeschränkt, wenn man berücksichtige, dass der Kläger die Verweisungstätigkeit - wie von ihm persönlich erklärt - an 40 Stunden pro Woche ausgeübt habe. Ebenso sei es mit dem Umstand, dass der Kläger nach eigener Aussage nicht ausschließlich am Schreibtisch tätig gewesen sei, sondern auch unterstützend bei der Montage von Prototypen im Werkstattbereich mitgewirkt habe. Auch dies sei eine „leichte Tätigkeit“ gewesen, da nach den Angaben des Klägers im Rahmen seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat, der die Sachverständige beigewohnt hat, diese nicht mit dem Heben schwerer Lasten oder der Einnahme einer Zwangshaltung verbunden gewesen sei. Zu dem Einwand des Klägers, er habe häufiger auch stärkere Schmerzmedikamente eingenommen, erklärte die Sachverständige im Rahmen ihrer ergänzenden mündlichen Befragung, dass dies in den vorliegenden Behandlungsunterlagen nur sehr lückenhaft dokumentiert sei und die dort ersichtliche Schmerztherapie als erratisch erscheine. Den erhobenen Befunden ließen sich keine Hinweise auf Konzentrationsschwierigkeiten am Arbeitsplatz entnehmen. Die dokumentierte Verabreichung von Schmerzmedikamenten führe als solche nicht zu einer Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit. Wenn ein Patient im Rahmen einer Schmerztherapie durch regelmäßige Medikamentation gut eingestellt sei, so ergebe sich hieraus allein noch keine Berufsunfähigkeit.

 

(3) Diesen umfangreich und überzeugend begründeten Ausführungen der Sachverständigen Dr. B. schließt sich der Senat nach eigener kritischer Würdigung in allen Gesichtspunkten an. Danach erweist sich die am 11.04.2017 getroffene Prognoseentscheidung der Beklagten aus dem maßgeblichen Blickwinkel heraus als zutreffend.

 

cc) Die Verweisungstätigkeit entspricht auch der bisherigen Lebensstellung des Klägers (§§ 2 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 2 AVB-BU). Dies ist stets im Rahmen einer Gesamtabwägung zu beurteilen. Die versicherte Person darf keinen unzumutbaren wirtschaftlichen oder sozialen Abstieg erleiden; ihr sozialer Status muss im Wesentlichen erhalten bleiben. Eine Vergleichstätigkeit ist dann gefunden, wenn die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und in ihrer Vergütung sowie in ihrer sozialen Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Berufs absinkt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2016 -IV ZR 434/15, NJW 2017, 731 Rn. 15 m.w.N.). Dabei geht es nicht um die individuelle Wertschätzung, sondern um das Ansehen, dass der Beruf als solcher dem verleiht, der ihn ausübt (abstrakt-generelle Betrachtung; vgl. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl., Kap. 8 Rn. 114).

 

Vergleicht man die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit als Anlagenmechaniker mit dem im April 2017 ausgeübten Beruf als Maschinenbautechniker und Konstrukteur, so erforderte diese neue Tätigkeit unzweifelhaft keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist auch unstreitig, dass die neue Tätigkeit kein geringeres Sozialprestige genießt. Der Kläger war seit 2017 in Vollzeit bei einem marktführenden Unternehmen beschäftigt, das Maschinen und andere Anlagen für die Textil- und Papierindustrie entwickelt und produziert. Hieran hat der Kläger im Bereich der Entwurfserstellung, Baugruppenplanung und Projektierung maßgeblich mitgewirkt (vgl. das Arbeitszeugnis vom 31.12.2020; Anlage zu Bl. 216 d.A.).

 

Die bisherige Lebensstellung ist darüber hinaus wesentlich durch das erzielte Einkommen geprägt. Der bisherige Beruf und die Verweisungstätigkeit können über das Brutto- oder das Nettoeinkommen miteinander verglichen werden (vgl. BGH, Urteil vom 08.02.2012 −IV ZR 287/10, NJW-RR 2012, 811 Rn. 16). Vorzugswürdig erscheint der Nettovergleich, weil er die tatsächliche Lebensstellung besser widerspiegelt. Eine feste Grenze für eine nicht mehr hinnehmbare Einkommenseinbuße existiert nicht. Dies wird in der Regel aber erst ab einer Minderung von 20% in Betracht kommen (vgl. Senatsurteil vom 22.02.2021 -8 U2845/20, BeckRS 2021, 2223 Rn. 36). Derartiges ist hier nicht festzustellen. Die Beklagte hatte in erster Instanz mit Schriftsatz vom 12.02.2019 geltend gemacht, dass sich aus den vorgerichtlichen Angaben des Klägers keinerlei Einkommenseinbuße ergebe (Bl. 39 d.A.). Es oblag daher dem Kläger im Rahmen einer sekundären Darlegungslast, konkrete Umstände aufzuzeigen, aus denen sich die fehlende Vergleichbarkeit ergeben soll (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2016 -IV ZR 434/15, NJW 2017, 731 Rn. 18 m.w.N.; BeckOK-VVG/Mangen, § 174 Rn. 31 [Stand: 01.08.2022]). Dem ist der Kläger jedoch nicht nachgekommen, worauf der Senat bereits mit Beschluss vom 18.10.2021 hingewiesen hatte. Die in zweiter Instanz vorgelegten Einkommensnachweise des Klägers (Anlagenkonvolut K 16) betreffen das Jahr 2011 und geben keine Auskunft über den Zeitpunkt der Leistungseinstellung.

 

d) Nach §13 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 AVB-BU endete die Leistungspflicht der Beklagten nicht vor Ablauf eines Monats nach Absenden der Änderungsmitteilung, hier mithin spätestens zum 31.05.2017. Die genannte Klausel ist nicht gemäß §175 VVG wegen einer dem Kläger nachteiligen Abweichung von §174 Abs. 2 VVG - jeweils in der seit dem 01.01.2008 geltenden Fassung - unwirksam. Auf vor diesem Zeitpunkt abgeschlossene Altverträge über eine Berufsunfähigkeitsversicherung sind gemäß Art. 4 Abs. 3 EGVVG die §§ 174, 175 VVG nicht anzuwenden.

 

e) Da die Beklagte bis einschließlich 31.05.2017 alle vertraglich geschuldeten Leistungen erbracht hat und für die Folgezeit keine Leistungen schuldet, bleiben alle Klageanträge erfolglos. Mangels Hauptforderung ist die Beklagte auch nicht zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verpflichtet.

 

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

 

3. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Der Senat hat keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der von einem solchen in anderen höchstrichterlichen oder obergerichtlichen Entscheidungen abweicht. Der Fall wirft auch keine Rechtsfragen auf, die der höchstrichterlichen Klärung bedürfen. Vielmehr handelt es sich um die Anwendung gesicherter Rechtsgrundsätze auf einen konkreten Einzelfall.

 

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde gemäß §§ 47 Abs. 1 und 2, 48 Abs. 1, 43 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO festgesetzt. Die auf zukünftige Leistung bzw. Beitragsbefreiung gerichteten Klageanträge waren analog § 9 ZPO mit dem 3,5-fachen Jahresbetrag zu bewerten. Soweit rückständige Leistungen gefordert worden sind, ist der Zeitpunkt der Zustellung der Klage maßgebend (vgl. Senatsurteil vom 01.02.2022 -8 U 2196/21, BeckRS 2022, 849 Rn. 102 ff.). Die für Oktober 2018 geforderten Leistungen sind daher zu addieren.